James-E-LShades-of-Grey-Geheimes-1-127774 1Eva Illouz Die Neue Liebesordnung. Frauen, Männer und Shades of Grey Suhrkampf Verlag

Ist Sadomaso befreiend oder erniedrigend für Frauen? Gute Frage, aber nicht leicht zu beantworten, meint die israelische Kultursoziologin Eva Illouz. Weltweit über 70 Millionen Mal verkaufte sich bisher E.L.James Romantrilogie Shades of Grey mit den viel versprechenden Untertiteln "Geheimes Verlangen", "Gefährlichen Liebe", "Befreite Lust". Allein deutschsprachigen Raum über sieben Millionen. Auch daran lässt sie keinen Zweifel aufkommen: der Roman illustriert den gegenwärtig "jämmerlichen Zustand von Liebe und Sexualität".Es hat beliebig viele Verrisse gegeben.

Literarisch sind die Bücher mit "Trivialliteratur" noch gut gekennzeichnet. Doch muss es eine Erklärung geben für diesen zumindest sagenhaften kommerziellen Erfolg. Was nicht so sehr überrascht, ist die Tatsache, dass unter den 70 Millionen Käufern sich nur wenige Männer befinden sollen. Es sind in der großen Mehrheit Leserinnen, die sich diesen "Mamiporno" reinziehen. Warum eigentlich?

"die neue Liebesordnung"Für einen Mann, der nicht auf BDMS steht, auf Sex mit Bondage&Disziplin, Dominance&Submission, Sadismus&Masochismus,ist "die neue Liebesordnung"  eine sehr benruhigende Frage. Was veranlasst Frauen in Zeiten von Emanzipation und allmählichen Zerfall des Patriarchats sich für Dominanz und Demütigung zu begeistern? Eine der am häufigsten gehörten Erklärung ist, dass die Porno-Kultur endgültig Eingang in den Mainstream von Emotionen und Begehren gefunden habe? Eine Folge: In den Erotik-Shops in den USA soll der Absatz von Augenbinden, Handschellen und Lustkugeln etc. dramatisch gestiegen sein. Es überrascht auch nicht sonderlich, dass unter Feministinnen in den USA, Großbritannien und auch in Deutschland darüber eine heftige Debatte darüber ausgelöst wurde, ob Unterwürfigkeit eine gewalttätige oder eine emanzipatorische Phantasie für Frauen darstellt. Der Roman ist wie eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte im Groschenheftformat konstruiert. Eine junge Frau, Anastasia Steele, Studentin 20 Jahre alt, trifft attraktiven, erfolgreichen Geschäftsmann, Christian Grey. Super-Aussehen, Super-Auto, Super- Wohnung. Nicht unwichtig, Anastasia ist Jungfrau, hat noch keine Ahnung von der "wirklichen" Liebe, aber eine Menge romantische Vorstellungen von ihr. Die Geschichte spielt in Seattle, könnte aber auch überall in unserer unmittelbaren Nachbarschaft spielen. Anastasia trifft Christian anlässlich eines Interviews, das sie mit ihm für eine Studentenzeitung macht. Ein Händedruck, ein Blick, zum ersten Mal in ihrem Leben verspürt sie ein starkes sexuelles Verlangen.

In Christian trifft sie auf einen außergewöhnlichen Sexualpartner. Er ist anders als die anderen. Sie erlebt ihn als verschlossen, düster und bedrohlich. Er macht ihr mächtig Angst mit seinen sexuellen Forderungen, gleichzeitig verschafft ihr allein schon die Vorstellung von dem, was sie in seinem Schlafzimmer erwartet, ungeahnte Lustgefühle. Anders gesagt: eine Menge Angstlust. "Dieses Freundinnen-Ding gibt`s mit mir nicht." Das sagt er ihr gleich zu Beginn ihrer Beziehung. "Ich mache keine Liebe ... ich ficke hart." Er tut, was er sagt, Anastasia beugt sich seinem Willen. Ich habe den ersten Band gelesen. Zugegeben in voyeuristischer Absicht. Welcher Soziologie, Psychologie, Schriftsteller möchte nicht wissen, was in den Betten seiner Mitmenschen passiert. Gelesen habe ich ihn, nachdem ich im Spiegel eine zustimmende Rezension dieses Buches, eine ziemlich scharfsinnige Analyse wie mir schien, gelesen hatte. Sie stammt von der israelischen Soziologin Eva Illouz. Der Titel ihres rezensierten Essays "Die Neue Liebesordnung. Frauen Männer und Shades of Grey". Ich kannte bis dahin Eva Illouz nicht. Sie ist eine inzwischen berühmte Kultursoziologin, lehrt in Jerusalem Kultursoziologie. Die Analyse beginnt mit der Frage: Ist Sadomaso befreiend oder erniedrigend für Frauen? Wer den Erfolg des SM-Bestsellers "Shades of Grey" auf diese Frage verkürze, verkenne das wahre Versprechen dieses Buches. Das schreibt die Star-Soziologin. Der Softporno, so ihre These, erzählt von einem Gegenentwurf zu unseren modernen Beziehungen. Und dieser Gegenentwurf habe etwas mit BDMS zu tun, mit Schmerz und Genuss, mit vergnügen und Frust.

Hier ihre ungewöhnliche Argumentation. Viele Widersprüchlichkeiten moderner Beziehungen findet Illouz im Roman Shades of Grey wieder. Ein Roman bildet nicht notwendig die gesellschaftliche Realität eins Zuseins ab. Das wäre nur allzu langweilig. Im Roman werden Wünsche, Sehnsüchte, Utopien, Fantasien ausgelebt und dargestellt. Widersprüche, die im "wirklichen Leben" als unauflösbar gelten, können im Roman aufgelöst werden. Auch in "Shades of Grey" wird es ein "Happy End" geben, trotz oder gerade wegen ihrer Sadomaso-Spiele. Ana und Christian werden heiraten. Der Romanheld Christian Grey ist ja nicht nur ein sadistischer Kotzbrocken, sondern auch der virile zugewandte und absolut begehrende Liebhaber, und Anastasia in der Rolle der ergebenen Dienerinnen die selbsbestimmte und mächtige Geliebte. Beide wollen das Gleiche. Beide wollen begehrt werden. Beide ordnen sich dem Willen und den Begierden des anderen unter mit demselben Ziel, sexuelle Lust zu empfinden. Das wollte Mozarts Don Giovanni vor 250 Jahren, auch. Seine Lust auf Frauen bezahlte er mit dem Tod. Worin bestand seine Schuld? Er verführte und liebte die Frauen, ohne sich auf das einzulassen, was das Gesetz dafür vorsah, die Ehe. Ohne Ehe kein Sex und keine Liebe. So hatte es die Kirche gewollt. Don Giovanni widersetzte sich den kirchlichen Normen und bestand auf seiner adeligen Freiheit, sich jede Frau nehmen zu können, auf die er gerade Lust hatte. Die Strafe folgte prompt, der Tod.

Und heute? Modernen Menschen fällt es nicht leicht zu verstehen, was das ganze Theater in der Oper eigentlich soll. Heute sind Sexualität und Liebe frei von jeder Verpflichtung. Mann und Frau bestehen auf ihrer ganz persönlichen Autonomie, Liebesbeziehungen einzugehen wann und wo und mit wem sie immer wollen. Und gleichzeitig leiden sie darunter. Sie gehen eine Ehe ein, trennen sich wieder, oder auch nicht. Illouz erklärt den unglaublichen Erfolg des Romans (bei Frauen) so: Der Roman Shades of Grey erfüllt das Muster des klassischen Liebesromans. Eine junge, sexuell unerfahrene Frau trifft auf einen Mann, der sie zunächst ablehnt, der sich dann aber im Laufe der Geschichte als der einzig wahre herausstellt. Beide, Mann wie Frau, Christian Grey wie Anastasia suchen nach ihrer Identität. Sie wollen wissen wer sie sind. Das erfahren sie nicht notwendig in langen Gesprächen, im Austausch von Freundschaftsgesten oder im Abgleich von ökonomischen Interessen. Nein, sie entdecken ihr Selbst allein in ihrer Sexualität wie queer sie auch immer sein mag. Ihr beiderseitiges sexuelles Begehren verschafft ihnen das Gefühl gegenseitiger Anerkennung. Es ist nicht wichtig wie das Begehren entfacht wird. Wichtig ist, dass überhaupt begehrt wird. Im Bewusstsein begehrt zu werden steigt das Selbstwertgefühl. Jeder kennt das Gefühl, wer geliebt wird fühlt sich größer, stärker, lebendiger. Und ... es entsteht eine Bindung, die engere nicht sein kann.

Es ist nicht ganz leicht, Eva Illouz in ihrer These zu folgen, zumal, wenn man keine Ahnung von BDSM hat wie ich. Sie argumentiert, BDSM seien Rollenspiele, die nach einem gemeinsam geschriebenen Drehbuch ablaufen, wie das Drehbuch eines Filmes. Das Begehren wird inszeniert, ohne dass es für alles Zeit festgeschrieben wird. Was das Drehbuch des Filmes ist, ist in der BDMS-Kultur der Vertrag auf Zeit, den die beiden Liebenden abschließen. Er kann jederzeit wieder gelöst werden. Grundlage des Vertrages ist das absolute gegenseitige Vertrauen. Der Vertrag schreibt in allen Einzelheiten fest, was getan und was nicht getan darf. D.h, der zugefügte Schmerz wird erlitten, genossen, jedoch zugleich kontrolliert durch den von zwei gleichen Partnern geschlossenen Vertrag. Eva Illouz sieht die Praktiken des BDSM modellhaft als Ausweg aus den Sackgasse der Beliebigkeit und Widersprüchlichkeit modernen Liebesbeziehungen. Sie vermutet, dass hier die Gründe für den immensen Erfolg des Romans liegen, und nicht in den als Pornographie empfundenen Passagen des Buches. Symbolhaft fügten sich hier sich die ungestillten Sehnsüchte (der Frauen) zu einer Einheit: ihr Autonomiestreben und ihre Bindungssehnsucht, ihr sexuelles Begehren und ihr Wunsch nach Anerkennung und absoluten Vertrauen seitens ihrer Partnern. "Shades of Grey" ist ein Roman. Und "Roman" kommt von Romantik. "Shades of Grey" ist ein romantischer Liebesroman, wenn auch ein literarisch haarsträubend schlechter, was inzwischen 80 Millionen Leser-innen nicht zu stören scheint.