In Interviews bin ich oft nach meinen Motiven gefragt worden, ein Buch über Bayreuth und Richard Wagner geschrieben zu haben. Ich kann nicht leugnen, dass meine Beziehung zu Wagner und allem, was um ihn herum gesagt und geschrieben wurde, mich wenig, besser, gar nicht interessiert hat. Bayreuth stand und steht auch heute noch bei vielen für Hitler und Holocaust. Die erste Annäherung an das Thema war eher zufällig. Mein Redakteur beim Bayerischen Rundfunk gab mir den Auftrag, ein Radiofeature über den "Mythos Bayreuth" zu produzieren. Wir wollten nach den Gründen suchten, warum jedes Jahr über 60 000 Menschen aus aller Welt in diese kleine, sehr provinzielle Stadt "pilgern", nach alledem, was historisch geschehen ist Wer sich heute entschließt, sich hier eine Wagner-Oper ansehen zu wollen, kommt auf eine Warteliste. Nach zehn Jahren Wartezeit kann er damit rechnen, eine Karte zu bekommen.

Um die Gründe herauszufinden, habe ich viel recherchiert, gelesen, Interviews mit Historikern, mit Musikwissenschaftlern, mit Künstlern gemacht. Die erste Feststellung war, es gibt Liebhaber Wagners, die nichts auf ihren Meister kommen lassen. Es gibt tatsächlich so etwas wie eine Wagner-Manie. Es gibt aber auch die Liebhaber, die von seiner Musik begeistert sind, und nur von ihr. Dann gibt es schließlich das große Heer der Wagner-Verächter, die möglicherweise seine Musik nicht mögen, vor allem aber die historischen Wirkungen seines Antisemitismus und seine Funktionalisierung im Dritten Reich verabscheuen. Argumente für sie alle gibt es genügend - vor allem in Deutschland. Mich hat besonders interesssiert wie ausländische Menschen auf das Phänomen Bayreuth reagieren. Ich bin nach England gefahren und habe in London Jonathan Deathridge, in Paris Serge Gut, in den USA Marc A. Weiner interviewed, alle drei exzellente Musikforscher und Wagner-Kenner.

Von diesen Gesprächen - und vielen anderen mehr - lernte ich, dass dort mit dem Thema Wagner und Bayreuth viel gelassener umgegangen wird. Überraschg war ich auch darüber wie wenig der Wagnersche Antisemitismus eine Rolle spielt. Ganz anders als bei uns. Wir Deutsche sind immer noch wie traumatsiertt von unserer Vergangenheit. In meinem Roman ist es Alma Rosen, die jüdisch-amerikanische Schriftstellerin, die in Bayreuth die Ambivalenzen der deutschen (Musik-)geschichte kennenlernt und überrascht darüber ist, was sie dort erlebt. Neu für mich war, dass die doch als sehr pragmatischen Engländer bekannten, gerade das Mystische an Wagner, vor allem die Oper Parsifal und den Fliegenden Holländer liebten, so Jonathan Deathbrigde. Merkwürdig schon! Serge Gut sprach davon wie sehr die Franzosen den Musik- und Sprachkünstler Wagner schätzen. Der große französische Dichter Charles Baudelaire, nachdem er den Tannhäuser in Paris gesehen hatte, war fortan ein begeisterter Wagner-Anhänger. In den USA ist die Wagner-Akzeptance sehr unterschiedlich. Der Literatur und Musikwissenschaftler Mark. A. Weiner hat ein interessantes Buch geschrieben über die "Antisemitischen Fantasien in den Musikdramen Richard Wagners".Er kommt zu dem Schluss, dass in den Texten wie in der Musik antisemitischen Fantasien ihren Niederschlag gefunden haben, was er nachweist. Andere, wie sein amerikanischer Kollege Hans Rudolf Vaget, weisen eine solche Sichtweise strikt zurück: Antisemitismus spiele im Werk Wagners keine Rolle.

In Israel ist es nach wie vor nicht möglich, Wagners Musik in welcher Form auch immer öffentlich auftzuführen. Ich hatte darüber ein langes Gespräch mit dem israelischen Soziologen und Philosophen Moshe Zimmermann. Wie andere, hatte auch er sich für eine Veränderung in dieser Haltung ausgesprochen, aber vergeblich. Er bedauerte es. Kontroverse öffentliche Diskussionen seien besser als verändendes verschweigen. Ich habe viel von Geschichte, bisher noch wenig über Musik gesprochen. Auch hier viel Für und Gegen. Wagners Musik wird von vielen als reichliche undifferenziert, lärmend und düster empfunden. Das mag sie in manchen Teilen auch sein. Doch diesen Eindruck kann man auch von anderer romantischen Musik haben, die große musikalische Geste, das Pathos, wie bei Berlioz zum Beispiel. Aber das ist nur ein erster, oberflächlicher Eindruck.

Es war Daniel Barenboim, der in der ganzen Welt hochgeschätzte Wagner-Dirigent, der mich auf einen anderen Wagner aufmerksam gemacht hat, einen Wagner der leisen Töne, der Meister der Kammermusik. Und daran, so Barenboim, lasse sich der große Komponist erkennen, der Wagner zweifellos war. "Hören Sie sich einmal die Musik des "Karfreitagszauber" aus dem Parsifal an oder das Vorspiel zum dritten Aufzug von Tristan und Isolde, Sie werden mir zustimmen." Ich habe es gemacht... und kann Wagners Musik mit einem anderen, gewandelten Ohr hören. Dennoch, auch das muss immer gesagt werden, Wagner hatte eine üblen Charakter, der mit seinen Musikern, vor allem mit seinen jüdischen Musikern in Bayreuth, zeitweise auf eine abscheuliche Weise behandelte.Deshalb sind meine Gefühle Wagner gegenüber nach wie ambivalent. In meinem Roman "Kundry weint" spiegelt mein Krimialpsychologe Firmian von Dall`Armi diese Ambivalenz wieder, wenn er mit Alma Rosen über Wagner in Streit gerät...was ihrer Liebesgeschichte keinen Abbruch tut...