427px-Jean-Paul-Denkmal„Sein Herz und seine Schrift waren eins“ Zum 250. Geburtstag von Jean Paul

Heinrich Heine bewunderte das Werk Jean Pauls, weil „sein Herz und seine Schrift ein und dasselbe“ waren. Für ihn stand er „ganz isoliert in seiner Zeit“. Das fühlte auch Goethe, der, als er sich in Weimar aufhielt, genau so um ihn warb wie Herder, Allein Nietzsche kam mit ihm nicht zurecht und nannte ihn einmal abschätzig ein literarische „Verhängnis im Schlafrock“.

Denkmal Jean Paul in Bayreuth

Quelle: Wikimedia.org

 

In Bayreuth, wo er sich 1804 endgültig niederließ, wurde er nie so richtig heimisch. Für die braven Bürger der Stadt liebäugelte zu sehr mit den aufgeklärten Ideen der Französischen Revolution. Und, was ihm endgültig den guten Ruf kostete, war sein täglicher, angeblich abnormer Bierkonsum („mein Weihwasser, meine letzte Ölung“) in seiner Stammkneipe „Rollwenzelei“. Den Fürstbischof Dalberg störte das weniger. Er zahlte ihm ab 1808 ein Jahressalär von tausend Gulden und enthob ihn so der gröbsten Armut, in der er, trotz aller Berühmtheit, lebte. Als der Bischof nach den Napoleonischen Kriegen kein Geld mehr hatte, übernahm der Staat Bayern großherzig die Pensionszahlungen. So viel Wertschätzung wurde ihm auch später in seiner Heimatstadt nie mehr entgegengebracht. Neben dem obsessiven Richard Wagner war in der Herzen der Bayreuther kein Platz mehr für ein kauziges Dichtergenie wie Jean Paul. Und das ist auch noch heute so. Der aus kleinsten Verhältnissen stammende Johann Paul Friedrich Richter war allerdings kein Mensch, der sich gleichermaßen alle zu Freunden machen konnte. Man konnte ihm offensichtlich nur begeistert gegenübertreten, oder mit ihm wenig oder gar nichts anfangen - so ging es nach vielversprechenden Anfängen mit Goethe (der das Befremdende an ihm in den Terminus 'Der Chinese in Rom' fasste) und Schiller, während Wieland, Herder und Hegel, später Gottfried Keller, Theodor Fontane, Stefan George und Hofmannsthal ihn liebten. Was die olympische Kühle Goethes betraf, die nicht nur Jean Paul notierte, so meinte er nur dazu: 'Goethe fürchtet sich vor jeder fremden Wärme, weil sein Eispalast schmelzen könnte' (ein Aphoristiker von Karat war er nebenbei auch). Das Jubiläumsjahr 2013 versucht, hoffentlich mit einiger Wirkung, den unbekannten Großen ins Licht unserer Zeit zu heben. Helmut Pfotenhauer und Beatrix Langner haben zwei große Biografien veröffentlicht, die jede für sich und gar zusammen mehr bieten, als die Jean Paul-Biografik bisher zustande gebracht hat, mit der einzigen Ausnahme des allerdings deutlich schmaleren und rund vierzig Jahre alten Buches von Günter de Bruyn. Wie schreibt man die Biografie eines weithin ungelesenen Autors? Man darf sich durch diese betrübliche Tatsache nicht irritieren lassen, auch nicht dadurch, dass das Leben Jean Pauls nicht exorbitant abenteuerlich verlief. Gereist ist er kaum, selbst bis zur Isola Bella hat es nicht gereicht. Nur schwer hat er sich aus der fränkischen Enge seiner Herkunft und Zeit herausgelöst mit einem kaum ernsthaft betriebenen Studium in Leipzig, dann war er Hauslehrer, dann ausschließlich und besessen Schriftsteller. 'Ich bin nicht der Mühe wert gegen das, was ich gemacht', schrieb er einmal. Längere Aufenthalte banden ihn zweimal an Weimar, erneut Leipzig, dann Berlin und schließlich ab 1804 Bayreuth. Jean Paul und die Frauen: da wimmelt es von Damen, die auch anderwärts ihre Markierungen hinterlassen - Charlotte von Kalb, Juliane von Krüdener, Amöne Herold, Caroline von Feuchtersleben. 'Titaniden' nennt Jean Paul diese Frauen, die ihn an sich binden wollen, denen er sich aber immer wieder in letzter Minute entzieht. Spät erst heiratet er Karoline Mayer - eine wirklich glückliche Ehe wird diesem späten Entschluss nicht folgen. Das Ende im Jahr 1825 ist leidvoll: der Lieblingssohn Max stirbt vor dem Vater, Krankheiten quälen diesen, die Folgen eines die ungeheure Arbeitsleistung stimulierenden Alkoholkonsums machen sich bemerkbar. Pfotenhauer und Langner schildern das alles mit Nüchternheit und Akribie. Kurioserweise wirkt dabei die nicht akademisch angebundene Beatrix Langner manchmal etwas professoraler als der Würzburger Jean Paul-Forscher Pfotenhauer. Beiden Autoren gelingt es, die Modernität wie auch die Zeitverflochtenheit Jean Pauls ins rechte Licht zu setzen. Beide Biografien sind jede auf ihre Art gut formuliert, ohne auch nur ansatzweise der Versuchung nachzugeben, sich dem Gestus des vorgestellten Genies anzunähern. Die Kindheit, wohl mangels Quellen, wird in beiden Büchern etwas kursorisch umrissen, der politische Jean Paul, einst von Wolfgang Harich grell als Jakobiner beleuchtet, wird vielleicht etwas zu sehr heruntergedimmt, von Langner mehr als von Pfotenhauer, der jedoch dafür manche Kapitel zu den Werken farbiger geraten. Doch ist unbezweifelbar, dass seine Humoristengestalten auch enttäuschte Revolutionäre sind - er hatte die deutsche Misere leidvoll am eigenen Leib erfahren und blieb sein Leben lang der Aufklärer und Republikaner, als der er angefangen hatte. Der Erotiker Jean Paul, der in diesem Punkte eher ein Mund- und Schreibwerker als ein Praktikus war, wird von Langner vielleicht ein wenig überschätzt; wenn er eine leise Schwäche hat als Autor, dann die, dass seine Frauengestalten manchmal ein wenig zu ätherisch geraten. Schade, dass keine der beiden Biografien der Freundschaft mit Emanuel, der sich Osmund nannte, ein Denkmal setzt. Osmund, der als Jude misshandelt worden war und zeitlebens Spuren davon trug, gehört zu der Handvoll Freunde, die Jean Paul bis zum Lebensende begleiteten. Wir sollten notieren, dass er der einzige der Großen der Epoche ist, bei dem wir kein einziges abschätziges Wort, keine Sottise, keinen herabmindernden Witz über Juden, geschweige denn eine Frühform von Antisemitismus finden, und der einzige, zu dessen engsten Freunden ein Jude zählte (die Zeiten Lessings und Moses Mendelssohns waren lange vorbei). Unsere Zeit, die Jean Paul kaum liest, hat sich vor ihm in der biografischen Bemühung dieser beiden Bücher zwiefach nicht blamiert, im Gegenteil, und das ist schon mehr, als zu erhoffen war. Und wie es ziemlich gut zu Jean Paul passt: das Jubiläumsjahr bringt auch ein Capriccio hervor, das 'untendenziöse Doppelporträt' Jean Pauls und Goethes 'Ein Chinese in Rom' von Ulrich Holbein. Holbein hatte bereits in seinem umfänglichen 'Narratorium', einem biografischen Kompendium weltlicher und geistlicher Narren, dem von ihm verehrten und geliebten Autor ein Kapitel gewidmet. Nun lässt er zwei Auerdichter aufeinander los, zur Belehrung und Ergötzung der Leser. Wer die Licht- und wer die Schattengestalt ist, wird schnell deutlich. Das mag man für satirisch, ironisch oder nur polemisch halten - vergnüglich und belehrend ist es allemal. Und wie es Holbeins Art ist, werden die entlegensten und die plattesten Erkenntnisse bis hin zur Seitenzählung der Gesammelten Werke zusammengespannt, dass es nur so funkelt und erhellend zerplatzt - ein Feuerwerk der besonderen Art, gespickt mit Collagen aus der Hand des Autors und sicher das vergnüglichste Jean Paul-Buch des Jahres. Natürlich: eine aufmerksame Lektüre dieser beiden Biografien und von Holbeins Capriccio ist nicht denkbar ohne eine im schlimmsten Falle anschließende, besser noch vorhergehende Lektüre der Texte Jean Pauls. Und da gibt es doch wunderbare Möglichkeiten: zum Beispiel die herrliche Leseausgabe, die einst Norbert Miller verantwortete und die bei Hanser nach wie vor lieferbar ist, einige der wichtigsten Texte gibt es auch als Taschenbuchausgaben, und gerade ist das große Jean-Paul-Lesebuch von Kurt Wölfel als Taschenbuch bei Fischer erschienen, das für eine erste Bekanntschaft gut geeignet erscheint. Ein letztes Mal sei Lichtenberg bemüht: wer zwei Paar Hosen hat, mache eins zu Geld und schaffe sich dieses Buch an, will heißen: eine der beiden gelungenen Biografien, dann verkaufe er auch noch das andere Paar und lege den Holbein dazu und da dieser Mensch den oberen Teil seiner Kleidung sowieso für Jean Pauls Prosa bereits hingegeben hat, wird er wohl unbekleidet herumlaufen müssen, aber glücklich sein für den Rest seines Lebens, denn er ist ein Jean-Paul-Leser geworden. Beatrix Langner: Jean Paul. Meister der zweiten Welt. Eine Biographie. C. H. Beck Verlag, München 2012. 608 Seiten. 27,95 Euro. Helmut Pfotenhauer: Jean Paul. Das Leben als Schreiben. Biographie. Carl Hanser Verlag, München 2013. 508 Seiten, 27,90 Euro. Ulrich Holbein: Ein Chinese in Rom. Jean Paul und Goethe: Ein untendenziöses Doppelporträt. Verlag Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2013. 413 Seiten, 19,90 Euro.